Zunächst bedankte ich mich bei Felix für den Tipp und das Aktenzeichen um das unten abgedruckte Urteil zu finden. Auch ich darf zeigen, dass die Rechtswissenschaft weniger ein trockener Bereich ist, als vielmehr höchst interessant und oft auch zum schmunzeln.
Im vorliegenden Fall geht es um die Vorderpfälzer Art und den Pfälzer als Zeugen. Das Gericht nutzte das Verfahren um sich auch eingehend mit diesem Thema zu befassen. Ich wünsche viel Spaß beim Lesen:
Quelle: LG Mannheim, Urteil vom 23.01.1997 – (12) 4 Ns 48/96
z.B. in NJW 1997, 1995f. oder auch die Datenbank des Gerichtes
„LG Mannheim, Urteil vom 23.01.1997 – (12) 4 Ns 48/96
Sachverhalt:
Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, er habe am 8. 12. 1994 als Zeuge beim SG Mannheim im Verfahren wegen Feststellung des Eintritts einer Sperrzeit bezüglich des jetzigen Zeugen V ausgesagt, er sei sich sicher, den von seinem damaligen Mitarbeiter, dem Zeugen V, beantragten Urlaub am 11. 9. 1992 nicht genehmigt zu haben und mit Zustimmung seines damaligen Betriebsleiters, dem Zeugen X, die fristlose Kündigung ausgesprochen zu haben. Das AG Mannheim hat den Angeklagten wegen falscher uneidlicher Aussage verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung führte zum Freispruch des Angeklagten aus tatsächlichen Gründen.
Aus den Gründen:
Dieser Vorwurf konnte nach dem Ergebnis der Berufungshauptverhandlung nicht aufrechterhalten werden. Ausweislich des Protokolls des SG Mannheim vom 8. 12. 1994 hat der Angekl. damals folgendes ausgesagt: “Ich erinnere mich, daß Herr V am Freitag, den 11. 9. 1992, kurz vor Feierabend ins Büro gekommen ist und mich darauf ansprach, daß er ein paar Tage Urlaub haben wolle, weil seine Tante aus Amerika zu Besuch komme. Ich habe ihn darauf hingewiesen, daß er noch nicht sechs Monate beschäftigt gewesen ist und deshalb noch keinen Urlaubsanspruch hat. Ich habe ihm trotzdem gesagt, daß er einen Urlaubsantrag ausfüllen soll, weil ja die Möglichkeit bestanden hätte, die bereits erworbenen Urlaubstage zu gewähren. Bei diesem Gespräch am Freitagnachmittag ist mir nicht klar gewesen, daß der Urlaub am Montag, 14. 9. 1992, hätte beginnen sollen.
Herr V hat den ausgefüllten Urlaubsantrag nicht mir persönlich gebracht, sondern vermutlich Herrn K ausgehändigt. Ich hatte den Antrag am Montag in meiner Unterschriftenmappe. Am Montagmorgen ist Herr V dann schon nicht mehr zur Arbeit erschienen. Er hatte auch ohne meine Genehmigung den Firmenwagen mit in Urlaub genommen. Er hat mich deswegen nicht einmal gefragt. Ich hätte dies in keinem Fall gewährt. Ich hatte mit der Zustimmung von Herrn K den Entschluß gefaßt, das Arbeitsverhältnis von Herrn V am 28. 9. 1992 fristlos zu kündigen.“
Der Angekl. hat diese seine Aussagen bestätigt und erneut versichert, alles sei wahr. Dies konnte ihm mit den zur Verfügung stehenden Beweismitteln nicht widerlegt werden. Der Zeuge V hat zwar wieder, wie schon beim SG und im bisherigen Strafverfahren, bekräftigt, der Angekl. habe ihn bei der erwähnten Vorsprache zwar angewiesen, einen Urlaubsantrag schriftlich auszufüllen, jedoch schon im vorhinein das Gewünschte mündlich genehmigt.
An der Wahrheit dieser Behauptung hegt jedoch die Kammer Zweifel. Während der strittigen Unterredung waren nämlich Dritte nicht zugegeben und es gibt hierüber auch keine schriftlichen Aufzeichnungen. Das bedeutet, daß in diesem Punkt Aussage gegen Aussage steht. Irgendwelche Indizien, die entgegen der bestreitenden Einlassung des Angekl. die Angabe des Zeugen V stützten könnten, sind nicht ersichtlich. Dafür aber kann nicht übersehen werden, daß der Zeuge V ein erhebliches materielles Interesse hatte, den angetretenen Urlaub als genehmigt erscheinen zu lassen und ergo den Angekl. als Lügner hinzustellen. Denn nur so konnte er hoffen, die ihm vom Arbeitsamt verordnete Sperrfrist für den Bezug von Arbeitslosengeld via SG wieder rückgängig zu machen und so noch nachträglich einen erheblichen Betrag an Arbeitslosengeld zu kassieren.
Dies sind jedoch nicht die einzigen Bedenken, die man gegen den Zeugen V haben muß. Er gab sich zwar betont zurückhaltend, schien bei jeder Frage sorgfältig seine Antwort zu überlegen und vermied es geradezu betont, Belastungstendenzen gegen den Angekl. hervortreten zu lassen, indem er in nebensächlichen Einzelheiten Konzilianz ja geradezu Elastizität demonstrierte, im entscheidenden Punkt, der – für ihn vorteilhaften – angeblichen mündlichen Genehmigung des beantragten Urlaubs aber stur blieb wie ein Panzer. Man darf sich hier aber nicht täuschen lassen. Es handelt sich hier um eine Erscheinung, die speziell für den vorderpfälzischen Raum typisch und häufig ist, allerdings bedarf es spezieller landes– und volkskundlicher Erfahrung, um das zu erkennen – Stammesfremde vermögen das zumeist nur, wenn sie seit längerem in unserer Region heimisch sind. Es sind Menschen von, wie man meinen könnte, heiterer Gemütsart und jovialen Umgangsformen, dabei jedoch mit einer geradezu extremen Antriebsarmut, deren chronischer Unfleiß sich naturgemäß erschwerend auf ihr berufliches Fortkommen auswirkt. Da sie jedoch auf ein gewisses träges Wohlleben nicht verzichten können – sie müßten ja dann hart arbeiten –, versuchen sie sich “durchzuwursteln” und bei jeder Gelegenheit durch irgendwelche Tricks Pekuniäres für sich herauszuschlagen. Wehe jedoch, wenn man ihnen dann etwas streitig machen will! Dann tun sie alles, um das einmal Erlangte nicht wieder herausgeben zu müssen, und scheuen auch nicht davor zurück, notfalls jemanden “in die Pfanne zu hauen”, und dies mit dem freundlichsten Gesicht. Es spricht einiges dafür, daß auch der Zeuge V mit dieser Lebenseinstellung bisher “über die Runden gekommen ist”. Mit Sicherheit hat er nur zeitweise richtig gearbeitet. Angeblich will er nach dem Hinauswurf durch den Angekl. weitere Arbeitsstellen innegehabt haben, war jedoch auf Nachfrage nicht in der Lage, auch nur eine zu nennen!
Und wenn man sieht, daß der Zeuge schon jetzt im Alter von noch nicht einmal 50 Jahren ernsthaft seine Frühberentung ansteuert, dann bestätigt dies nur den gehabten Eindruck. Daß er auch den Angekl. angelogen hat, als er ihm weiszumachen versuchte, er brauche den begehrten Urlaub, weil seine Erbtante aus Amerika komme, bedarf keiner näheren Erörterung – auf nähere Nachfrage konnte er nicht einmal angeben, wo diese angebliche Tante in Amerika wohnt. Auf einen solchen Zeugen, noch dazu als einzigem Beweismittel, kann verständlicherweise eine Verurteilung nicht aufgebaut werden.
Auch der Zeuge K war nicht geeignet, den Angekl. einer bewußt unwahren Aussage zu überführen. Zunächst kann dahinstehen, ob der in der Anklageschrift enthaltene Vorwurf nicht schon deshalb ins Leere geht, weil er dem Wortlaut des zugrundeliegenden Protokolls des SG nicht entspricht: Während die Anklage formuliert: “… mit Zustimmung seines damaligen Betriebsleiters, dem Zeugen X die fristlose Kündigung ausgesprochen zu haben” lautet das erwähnte Protokoll wörtlich: “Ich hatte mit der Zustimmung von Herrn K den Entschluß gefaßt, das Arbeitsverhältnis von Herrn V am 28. 9. 1992 fristlos zu kündigen”. Denn auch für die hier angeblich zugrundeliegende Unterredung zwischen dem Angekl. und dem Zeugen K gibt es keine Zeugen. Und auch hier handelt es sich etwa nicht um den objektiven, neutralen, unvoreingenommen
und “keine Belastungstendenz erkennen lassenden Zeugen”, sondern um einen der ebenfalls “interessiert” ist und dem Angekl. erkennbar feindlich gesonnen gegenübersteht. Schon die schiefe gebückte Haltung des Zeugen K und die Art, wie er, von unten herauf schielend, dem direkten Blick auszuweichen versuchte, machte auf die Kammer einen ungünstigen Eindruck. Sein Antwortverhalten war geradezu windig – fast nie antwortete er mit klarem “Ja” oder “Nein”, sondern immer mit: “Nicht, daß ich wüßte”. Und erst jetzt, in der Berufungshauptverhandlung, kam heraus, daß der Zeuge, der angeblich ohne Groll aus dem Arbeitsverhältnis mit dem Angekl. geschieden war, diesem heute noch gram ist, weil dieser ihm offenbar nicht das ersehnte Arbeitszeugnis ausgestellt hat. Jedenfalls mußte der Zeuge K zugeben, daß er versucht hat, beim Angekl. auf eine Änderung gewisser Passagen hinzuwirken, was dieser jedoch stets abgelehnt hat. Auf den Versuch einer näheren Aufklärung hat der Zeuge K selbst hier “gemauert”. Denn es war trotz allen “Bohrens” nicht herauszukriegen, was nun genau in dem Zeugnis stand und was dem Zeugen K nicht gefallen hat.
Letztlich brauchte dem aber nicht mehr nachgegangen zu werden, denn bereits die dargelegten bedenklichen Umstände müssen auch bei diesem Zeugen zu dem Schluß führen: Gewogen und zu leicht befunden!“
Lizenz: Universität zu Köln