OLG Stuttgart 4 U 78/13 – Wiki-Betreiber haftet für Verdachtsberichterstattung

Leitsätze ( teilweise vereinfacht/umformuliert):

  1. Ein Betreiber einer Online-Enzyklopädie treffen keine grundsätzlichen proaktiven Prüfungspflichten hinsichtlich persönlichkeitsrechtsbeeinträchtigender Inhalte.// Dies gilt unter den Voraussetzung, dass der Betreiber nur die Plattform und den Speicherplatz zur Verfügung stellt. Die Beiträge werden von den Nutzerinnen selber erstellt und ohne Vorabkontrolle (Einwilligung) oder nachträgliche Kontrolle (Genehmigung) des Betreibers freigeschaltet.
  2. Der Betreiber haftet jedoch nach Rechtsprechung des BGH für sogenannte Host-Provider entwickelten Grundsätzen als Störer, wenn er vom Verletzten über persönlichkeitsrechtsverletzende Inhalte in Kenntnis gesetzt wird und dennoch nicht reagiert.// Dies bedeutet, wenn der Nutzer dem Betreiber meldet, dass bestimmte Inhalte seine Persönlichkeitsrechte verletzte sind und der Betreiber diese nicht entfernt, haftet dieser.

3. Ein Unterlassungsanspruch ist dann nur hinsichtlich der Begehungsform des Verbreitens gegeben und – mangels Begehungsgefahr – nicht hinsichtlich der Begehungsform des Behauptens.

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4. Die von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs beginnend mit der Entscheidung “Online-Archiv I” (Urteil vom 15.12.2009, VI ZR 227/08) entwickelten Grundsätze für die Zulässigkeit der Abrufbarkeit älterer Artikel in Online-Archiven von Publikationsorganen sind auf Beiträge (etwa Kurzbiographien) in derartigen Online-Enzyklopädien, die auf Aktualisierung angelegt sind, nicht übertragbar.

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5. Die von der Rechtsprechung für die Zulässigkeit einer identifizierenden Berichterstattung über strafprozessuale Ermittlungsverfahren und Strafanzeigen und zur Verdachtsberichterstattung entwickelten Grundsätze sind auf die Berichterstattung über behördliche Verfahren jedenfalls dann zu übertragen, wenn diese die Überprüfung von Vorwürfen zum Gegenstand haben, die den Ruf des Betroffenen in ähnlich schwerwiegender Weise betreffen wie der Vorwuf einer Straftat.

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6. Sind die in einem solchen Verfahren geprüften Vorwürfe unstreitig unwahr, überwiegt bei der vorzunehmenden Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit sowie der Meinungsfreiheit andererseits das Persönlichkeitsrecht  bei fehlender Aktualität regelmäßig auch dann, wenn gleichzeitig die Einstellung des Verfahrens mitgeteilt wird.

Zusammengefasst
Gerade bei der Verdachtsberichterstattung sind die Richter der Meinung, dass die Betreiber einer Online-Enzyklopädie (Wiki) in der Pflicht sind.

 

Bundesgerichtshof (2009)
Der BGH stärkt die Pressefreiheit und die Medienarchive mit seinem Urteil aus dem Jahr 2009.

 

Quelle:
OLG Stuttgart Urteil vom 2.10.2013 Az. 4 U 78/13
Link: http://openjur.de/u/655558.print

Normen:
§§ 1004 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB
Artikel 1 Abs. 1, Artikel 2 Abs. 1 GG
§ 8 Abs. 1 EMRK